Piktogramme weiblich, divers und männlich

Warum Gendern mehr ist als ein Trend – Sprache als Werkzeug des gesellschaftlichen Wandels

Die Diskussion über das Gendern flammt immer wieder von Neuem auf – teilweise mit einer Vehemenz, die man sich auch für eine Diskussion über die Einbürgerung gewisser Anglizismen wünschen würde. Doch Fehlanzeige! Anglizismen wandeln nahezu unbemerkt unseren Sprachgebrauch, das Gendern sorgt dagegen immer wieder für Drama, auch wenn wir uns nun schon seit ein paar Jahren damit vertraut gemacht haben.
Wer schon bei mir im Speak-up-Seminar war, weiß, dass ich mich dafür einsetze, dass Frauen lernen, gleichberechtigt mit Männern zu kommunizieren. Deshalb halte ich es auch für wichtig, wie über Frauen kommuniziert wird, sprich dass gegendert wird, um zu zeigen, dass Frauen genauso wie diverse Personen explizit gemeint sind.
Sprache ist mehr als ein Mittel zur Verständigung – sie prägt unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Miteinander. Gendern ist für mich ein wichtiger Schritt zu mehr Gleichberechtigung. Doch was bedeutet Gendern eigentlich genau? Warum ist es wichtig? Und wie lässt es sich sinnvoll und verständlich umsetzen?

Was bedeutet Gendern?

Gendern bezeichnet die sprachliche Berücksichtigung aller Geschlechter – also nicht nur von Männern und Frauen, sondern auch von nicht-binären und intergeschlechtlichen Personen. Ziel ist es, eine inklusive Sprache zu verwenden, die niemanden ausschließt oder unsichtbar macht.
Traditionell wurde in der deutschen Sprache das generische Maskulinum verwendet – also die männliche Form als vermeintlich geschlechtsneutrale Bezeichnung. Ein Beispiel: »Die Kollegen haben heute eine Fortbildung.« Gemeint sind hier oft auch Kolleginnen, aber sprachlich bleiben sie unsichtbar. Gendergerechte Sprache versucht, diese Unsichtbarkeit zu vermeiden und alle Geschlechter sichtbar zu machen.

Warum ist Gendern wichtig?

Sprache schafft Realität und dabei ist sie nicht neutral: Sie transportiert Werte, Normen und Vorstellungen. Wenn wir über »den Arzt« sprechen, entsteht ein Bild im Kopf – meist ein männliches. Wenn wir hingegen »die Ärztin« sagen, verändert sich dieses Bild. Diese kleinen Unterschiede haben große Auswirkungen.

Der Linguist Ludwig Wittgenstein sagte: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« Was wir sprachlich nicht ausdrücken können, existiert für uns kaum. Umgekehrt: Was wir benennen, wird sichtbar, greifbar und gesellschaftlich relevant. Wenn beispielsweise in einem Text ausschließlich von »Politikern«, »Wählern« oder »Bürgern« die Rede ist, werden Frauen und nicht-binäre Personen unsichtbar gemacht. Das beeinflusst nicht nur das Selbstbild, sondern auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Rollen und Teilhabe.
Sprache formt Meinungen und Identitäten: Sie beeinflusst, wie wir über uns selbst und andere denken. Studien zeigen, dass Kinder, die in einem sprachlichen Umfeld aufwachsen, in dem Berufe gegendert werden (»die Ingenieurin«, »der Erzieher«), ein vielfältigeres Bild von beruflichen Möglichkeiten entwickeln – unabhängig vom Geschlecht.
Auch in der Werbung, in Medien und in der Politik zeigt sich: Die Art, wie über Menschen gesprochen wird, beeinflusst, wie sie wahrgenommen werden. Wer sprachlich ausgeschlossen wird, fühlt sich oft auch gesellschaftlich ausgeschlossen. Sichtbarkeit schafft Teilhabe: Wenn Menschen sprachlich sichtbar gemacht werden, fühlen sie sich eher eingeladen, mitzumachen. Das gilt besonders in Bereichen, in denen bestimmte Gruppen unterrepräsentiert sind – etwa in der Politik, Wissenschaft oder Technik.
Gendergerechte Sprache ist ein Versuch, alle Geschlechter gleichermaßen sichtbar zu machen. Sie ist ein sprachliches Mittel, um Gleichberechtigung nicht nur zu fordern, sondern aktiv zu leben. Wer Gleichberechtigung ernst meint, achtet auch sprachlich darauf, niemanden auszuschließen.
Gendern regt zum Nachdenken über Rollenbilder und gesellschaftliche Normen an. Unsere Gesellschaft wird vielfältiger. Immer mehr Menschen identifizieren sich nicht mit dem binären Geschlechtersystem. Gendergerechte Sprache trägt dazu bei, dieser Vielfalt gerecht zu werden. Gendern ist ein Zeichen von Respekt und Wertschätzung gegenüber allen Menschen.

Wie kann man gendern?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren. Welche Variante du wählst, hängt vom Kontext, der Zielgruppe und dem Medium ab. Jede Form hat Vor- und Nachteile, aber alle verfolgen das gleiche Ziel: Inklusion und Gleichberechtigung.

Doppelnennung
Beispiele: »Kolleginnen und Kollegen«, »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«
✅ Vorteil: Klar verständlich
❌ Nachteil: Lang, nicht inklusiv für nicht-binäre Personen

Genderzeichen
Beispiele: »Kolleg*innen«, »Mitarbeiter:innen«, »Kund·innen«
✅ Vorteil: Kurz, inklusiv
❌ Nachteil: Je nach Zeichen nicht barrierefrei für Screenreader, ungewohnt für manche Leserinnen und Leser

Es gibt verschiedene Genderzeichen:
Sternchen (): »Kolleginnen«
Doppelpunkt (:): »Kolleg:innen«
Punkt (·): »Kolleg·innen«
Unterstrich (_): »Kolleg_innen«
Binnen-I: »KollegInnen«

Neutralisierung
Beispiele: »Teammitglieder«, »Mitarbeitende«, »Kundschaft«, »Fachkräfte«
✅ Vorteil: Elegant, inklusiv, barrierefrei
❌ Nachteil: Nicht immer möglich, manchmal unpräzise

Relativsätze oder Umschreibungen
Beispiele: »Alle, die in der Produktion arbeiten«, »Personen im Vertrieb«
✅ Vorteil: Flexibel, inklusiv
❌ Nachteil: Stilistisch manchmal sperrig

Praktische Tipps zum Gendern

Die Umsetzung gendergerechter Sprache ist nicht immer einfach. Besonders in juristischen, wissenschaftlichen oder technischen Texten kann sie komplex wirken. Doch mit etwas Übung und Kreativität kannst du auch hier inklusive Formulierungen finden.
In Fließtexten hast du meistens ausreichend Platz für die Doppelnennung, mach dir hier nur bewusst, dass du damit nicht-binäre Personen nicht einbeziehst.
In platzbegrenzten Texten wie Präsentationen oder Social-Media-Beiträgen nimmt die Doppelnennung zu viel Platz ein. Hier ist es sinnvoll, kürzere Formulierungen zu finden etwa durch einen neutralen Begriff oder ein Genderzeichen. Auch wenn es anfangs ungewohnt erscheint – je öfter wir neutrale Begriffe nutzen, desto geläufiger werden sie für uns. Und gerade beruflich bewegen wir uns in unserer Kommunikation ja in den meisten Fällen immer wieder zwischen den gleichen Themen und haben dort die neutralen Begriffe, die wir häufig gebrauchen, schnell verinnerlicht.
Wenn du dich für ein Genderzeichen entschieden hast, dann nutze es einheitlich in allen deinen Texten. Das ist besonders in offiziellen Texten und auf Webseiten wichtig, um deine Leserinnen und Leser nicht zu verwirren. In der gesprochenen Sprache machst du an der Stelle des Genderzeichens eine kurze Pause.
Oberstes Gebot ist die Verständlichkeit deiner Sprache. Gendern sollte nicht zu komplizierten oder schwer auffassbaren Sätzen führen. Finde lieber einen neutralen Begriff oder formuliere um, als den Lesefluss zu stören. Wenn du geschlechtersensibel schreiben und sprechen möchtest, findest du immer eine Lösung – experimentiere ruhig mal mit den verschiedenen Möglichkeiten.

Kritik am Gendern – und warum sie oft ins Leere läuft

Aus konservativen Kreisen gibt es immer wieder Kritik am Gendern: »Sprache soll sich organisch entwickeln.« und »Wofür soll das Gendern gut sein?«. Am besten soll sich nichts ändern …
Diese Kritik ist nicht neu. Auch die Einführung des »Fräulein« als weibliches Pendant zum »Herrn« oder die Abschaffung desselben 1972 wurde kontrovers diskutiert und ich denke, wir sind uns alle einig, dass die Bezeichnung »Fräulein« heute völlig antiquiert wirkt und uns an sehr vergangene Zeiten denken lässt.

»Fräulein vom Amt«, Foto: Hulton Archive / Getty Images

»Fräulein vom Amt«, Foto: Hulton Archive / Getty Images

Ob es um die Einführung weiblicher Berufsbezeichnungen oder neue Begriffe für gesellschaftliche Gruppen geht: Sprache verändert sich ständig. Schon Martin Luther hat ein verständlicheres Deutsch gefordert. Das Gendern ist Teil dieses Wandels genau wie die oben erwähnten Anglizismen, die unsere Sprache neu prägen.
Studien zeigen, dass sich Menschen schnell an neue sprachliche Formen gewöhnen. Was heute ungewohnt klingt, kann morgen schon selbstverständlich sein. Zum Beispiel hat es sich inzwischen eingebürgert, dass Stellenausschreibungen mit dem Zusatz (m/w/d) an alle Interessierten gerichtet werden und dass Frauen und diverse Personen ausdrücklich angesprochen und eingeladen sind, sich auch zu bewerben. Viele gendergerechte Varianten sind inzwischen etabliert und gut lesbar.

Gendergerechte Sprache ist kein Zwang, sondern eine Einladung zur Reflexion. Sie zeigt, dass wir bereit sind, unsere Sprache an eine vielfältige Gesellschaft anzupassen. Sie ist ein Ausdruck von Respekt, Anerkennung und gesellschaftlichem Fortschritt. Wer gendert, setzt ein Zeichen für Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Teilhabe. Wenn wir sprachlich anerkennen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, öffnen wir auch gesellschaftlich Räume für Vielfalt und Inklusion.
Sprache kann Wandel bewirken. Sie kann Türen öffnen, Denkweisen verändern und neue Realitäten schaffen. Gendern ist ein Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft, in der niemand sprachlich ausgeschlossen wird. Sprache formt unsere Welt. Und eine Welt, in der alle gesehen und gehört werden, ist eine bessere, findest du nicht auch?

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